Hans-Jürgen Merkle über seine Zukunftsvision für Usedom…

In unserer Interviewreihe „InsideUsedom“ kommen Menschen zu Wort, denen die Ostseeinsel Usedom besonders ans Herz gewachsen ist. Einheimische, Inselliebhaber, Akteure und engagierte Persönlichkeiten, lassen uns Usedom mit ihren Augen sehen.

Hans-Jürgen Merkle ist Unternehmer, passionierter Kommunalpolitiker und war Geschäftsführer mehrer Touristikunternehmen. Er ist Vorsitzender des Usedomer Kunstverein e.V. und des Tierhofs Labömitz e.V.

Hans-Jürgen Merkle ist eine überaus engagierte Persönlichkeit der Ostseeinsel Usedom. Durch sein Zutun hat Heringsdorf heute wieder eine Seebrücke, mit einem erheblichen Wirtschaftsfaktor für die Region. Ohne Fördermittel entstand so die einzige privat betriebenen Seebrücke in der Ostseeregion, sie wurde 1995 in Betrieb genommen.

Der Bau der Seebrücke war eine Initialzündung für die gesamte weitere wirtschaftliche Entwicklung in Heringsdorf. Jürgen Merkle hat richtungsweisend viele Projekte mitgestaltet. Er ist ein Macher, jemand der den Status quo in Frage stellt – einer der etwas bewegt. Er bleibt dabei bescheiden.

Hans-Jürgen Merkle hat die Wiedervereinigung als Gestalter begriffen. Als junger Mann arbeitet er als Verwaltungsbeamter im hessischen Bad Nauheim. Eher zufällig erfährt er, dass Heringsdorf einen Bürgermeister sucht. Er probiert es, bewirbt sich und wird tatsächlich angenommen. Er findet es reizvoll, eine Kommune einmal ganz von Neuem aufzubauen, will „Gleise legen statt nur Weichen zu bedienen“.

Die Insel ist seine Heimat geworden. Das ist ein großes Glück, nicht nur für ihn persönlich, sondern auch für die Insel Usedom. Heute reden wir mit ihm über seine Lieblingsorte und wie sich die Insel weiterentwickeln könnte. Unterbrochen von einem Feueralarm auf der Seebrücke und einem zerbrochenen Kaffeebecher, dauerte unser Gespräch fast zwei Stunden. Es hätte auch noch länger werden können.

Hier die Zusammenfassung:

Sehr geehrter Herr Merkle,

ich freue mich sehr über die Zusage zu unserem Interview. Sie haben in der Ostseeregion Spuren hinterlassen und mit Ihrer Tätigkeit die Nachwendezeit in Heringsdorf mitgestaltet.

Sie sind 1991, kurz nach der Wende, mit gerade einmal 32, als Bürgermeister von Heringsdorf auf die Insel gekommen. Sie waren damit einer der ersten westdeutschen Kommunalpolitiker auf der Sonneninsel. Sie haben die damals so wichtige kommunale Erfahrung auf die Insel gebracht und Aufbauarbeit geleistet. Viele Ihrer Kollegen sind bereits zurück in Ihre Heimat gezogen - Sie nicht.

Warum sind Sie geblieben und was verbindet Sie aus heutiger Sicht mit Usedom?

Ich lebe über 30 Jahre auf der Insel. Ich bin mit großer Dankbarkeit erfüllt, dass ich die Verantwortung als Bürgermeister übernehmen durfte. Die DDR ist 1990 dem Westen und damit dem Geltungsbereich der bundesrepublikanischen Gesetze beigetreten. Das war für alle Gemeinden ein ziemlicher Umbruch, es war erforderlich das inhaltlich zu begleiten.

Im Westen erzeugte der Umgang mit der Einigung teilweise ein Gefühl von Überlegenheit. Im östlichen Teil Deutschlands mussten die Bürger in kürzester Zeit über viele neue politische und gesellschaftliche Veränderungen und über das eigene Selbstverständnis nachdenken.

Es gab damals massive Veränderungen in unserer Gemeinde - vieles stand auf dem Kopf. Ich bin durch die intensiven Erlebnisse der Anfangsjahre als Bürgermeister mit der Gemeinde und deren Bewohnern tief verwachsen. Usedom ist meine neue Heimat geworden - ich gehöre hier hin!

Verraten Sie uns Ihren Lieblingsort auf der Insel und was diesen besonders für Sie macht?

Usedom ist sehr vielschichtig, für mich gibt es deshalb nicht den einen Lieblingsort. Ich habe auf Usedom viele Orte, die die Insel für mich einzigartig machen.

Ein sehr schönes Erlebnis ist für mich beispielsweise, wenn wir auf unserem Tierhof in Benz, jedes Jahr im Mai und September, Katzennachwuchs bekommen. Ich setze mich dann gerne zu den Jungkatzen, schaue ihnen beim Toben zu und spiele mit ihnen. Das ist für mich Entspannung pur!

Wo zieht es Sie noch hin?

Was ich zu jeder Jahreszeit genieße, sind lange Strandspaziergänge. Ganz früh am Morgen, egal zu welcher Jahreszeit, gehe ich raus in die Natur mit meinem Hund. Ich liebe es in dieser Ruhe am Strand von Bansin bis nach Ückeritz zu laufen. Auf dem Rückweg geht es dann durch den Wald. Mein Hund ist nach so einer ausgiebigen Wanderung überglücklich, ich im Prinzip auch, aber auch ziemlich fertig (*lacht).   

Welche 2-3 Restaurants in der Gegend würden Sie einem guten Freund empfehlen?

Die Bauernstube Morgenitz ist für mich kulinarisch derzeit einfach das beste auf der Insel. René Bobzin kocht hier eine hervorragende traditionelle Fischküche in gemütlichem rustikalem Ambiente. Der Fisch hier ist nicht nur regional, sondern wird vor allem sehr frisch verarbeitet. Das was morgens noch im Achterwasser geschwommen ist, bekommt man am Abend gekonnt auf den Teller. Das gibt es so in dieser Form und Qualität für mich kein zweites Mal auf der Insel.

Ich gehe hier in Heringsdorf auch gern ins Restaurant Belvedere im Hotel Strandidyll. Aus der Glaskuppel hat man einen atemberaubenden Blick auf die Ostsee. Dazu gibt es raffinierte, saisonale Fleisch- und Fischgerichte in sehr hoher Qualität.

Wenn man den Sonnenuntergang genießen will, fährt man am besten ans Achterwasser nach Ückeritz. Auf der Terrasse im Café Knatter ist das warme Licht der Abendsonne über dem Wasser einfach unbezahlbar. Hier über das Wasser zu blicken ist fast schon kitschig schön.

Das Gartencafé Naschkatze in Krummin hat auch was, finde ich. Wer diesen urigen Garten noch nicht kennt, sollte hier unbedingt mal einen Nachmittag bei Kaffee und Kuchen verbringen. Aus dem Bauwagen heraus wird verkauft, was einem das Herz und die Seele erfreut. Umringt von einer unglaublichen Blumenvielfalt, kann man sich auf den unterschiedlichsten Sitzmöbeln im Garten eine ruhige Ecke suchen. Krummin ist immer einen Ausflug wert, der Feng Shui Garten ist beispielsweise sehr schön.

Wo verbringen Sie einen entspannten Nachmittag abseits der Touristenströme?

Bei mir im Garten (*lacht). Usedom hat aber zum Glück viele versteckte Ecken, wo man sich auch im Sommer gut zurückziehen kann.

Sie haben Lust auf Kunst und Kultur. Wohin zieht es Sie auf der Insel?

Die Gartenanlage der Gedenkstelle Niemeyer Holstein ist interessant. Mir gefällt die hier gezeigte Kunst gut, es ist aber auch ein Ort an dem man nachvollziehen kann, wie Künstler hier früher gelebt haben.

Das Museum in Wolgast sollte man sich auch mal genauer ansehen, die Stadtgeschichte wurde hier wirklich gut aufbereitet.

Wo in der Umgebung entsteht gerade etwas Neues?

Was ich bemerkenswert finde ist, wie sich die Stadt Usedom entwickelt hat. Der Hafen ist toll. In der Bäderstraße ist moderne Architektur entstanden, die ich ganz pfiffig finde.

Dass es gelungen ist, die Inselmühle Usedom zu sanieren und mit regional erzeugten Produkten zu etablieren,tut der Stadt und der Insel sicher gut. Die Wertschöpfung bleibt hier am Standort und das passt gut in die Zeit, wie ich finde.

Welche anderen regional nachhaltigen Vorhaben finden Sie erwähnenswert?

Es gibt in den letzten Jahren immer mehr Produzenten, die die komplette Wertschöpfung in der Region Vorpommern etabliert haben - dieser Trend ist gut und richtig.

Ein schönes Beispiel ist Inselverliebt von Claudia Pautz, die hochwertige Vorprodukte regional veredelt und damit auch richtig gutes modernes Marketing für die Insel Usedom macht. Von solchen Initiativen brauchen wir mehr. 

Die Strandfischerei gehört seit Jahrhunderten zu Usedom, sie ist regional und nachhaltig. Wenn wir nicht aufpassen stirbt dieses Handwerk für immer aus. Was können wir tun damit das nicht passiert?

Das ist kein ganz einfaches Thema. Die Ostsee hat sicher Probleme mit den Fischbeständen, aber uns behindern auch die strengen EU-Vorgaben. Die regionale und nachhaltige Stellnetzfischerei an der Küste wird durch diese Regeln mit der industriellen Großfischerei gleichgesetzt. Das halte ich für absolut ungerechtfertigt.

Auch das Quotensystem halte ich in diesem Zusammenhang für problematisch. Die Politik nimmt in Kauf, das unsere regionale Art der Fischerei für immer zerstört wird.
Das Wissen der Fischer und die Tradition, die sie hier in der Region etabliert haben, muss erhalten bleiben. Dieses Handwerk ist seit Generationen weitergeben worden. Wir müssen jetzt unseren Beitrag leisten damit es weitergeht.

Was wird getan um auf diese Problematik zu reagieren?

Die EU-Vorgaben werden wir nicht so schnell verändern, da sehe ich außer Lippenbekenntnissen nicht viel. In der Gemeinde haben wir aber Möglichkeiten Einfluss zu nehmen.

Wir haben beispielsweise eine Standortausschreibung in Ahlbeck für eine Fläche an der Promenade gemacht. Hier kann Gastronomie nur angesiedelt werden, wenn der Pächter auch die aktive Strandfischerei betreibt. Diese Kombination schafft eine ausgewogene nachhaltige Lebensgrundlage.

Haben Sie andere Ideen wie man die Küstenfischerei auf Usedom bewahren kann?

Ein Problem sind die strengen EU-Vorgaben, durch die kaum noch ein Fischer seinen Lebensunterhalt mit dem Fang bestreiten kann. Wir müssen hier kreativ und konzeptionell flexibel denken. Eventuell müsste die Gemeinde auch eigene Strandfischer beschäftigen, um das Handwerk zu erhalten. Solch eine Initiative halte ich für absolut machbar. Am Ende ist das doch Tourismusarbeit und dafür muss es dann auch ein Budget geben.

Die traditionelle Strandfischerei ist für unsere Gäste ein besonderes Urlaubserlebnis. Morgens am Strand zu beobachten, wie die Fischer den Fang anlanden, begeistert die Menschen. Das ist etwas, was unsere Region für Besucher attraktiv und besonders macht.

Sie sind engagierter Kommunalpolitiker. Die Insel ist an vielen Punkten am Limit (Verkehr, Abwasser, Gästezahlen)…was muss sich verändern, um Usedom zukünftig einen qualitativ hochwertigeren Tourismus zu bescheren?

Das Hauptproblem ist meiner Meinung nach, dass die Insel 27 politisch eigenständige Gemeinden hat. Das hat leider Auswirkungen auf die gesamte Entwicklung der Insel.

Mein Wunsch ist es, dass die Gemeinden mehr zueinander finden, um gemeinschaftlich Verantwortung für die Insel zu übernehmen. Wie wollen wir denn die Schönheit der Insel erhalten, wenn wir nicht das Große und Ganze im Blick behalten? Es gibt hier auf der Insel bestimmte Herausforderungen, die im Gesamtverbund viel besser lösbar wären.

Welche Herausforderungen halten Sie für besonders relevant?

Die Bereitstellung von bezahlbarem Bauland ist beispielsweise so ein Thema. Wir jagen alle die hier bleiben wollen förmlich von der Insel. Kaum einer der auf der Insel wohnt, kann sich noch Grund und Boden leisten. Das ist ein katastrophaler Zustand.

Bei den Bebauungsplänen müssen wir umdenken. Aus einer falsch verstandenen Investorenfreundlichkeit werden Konzepte genehmigt, die sich nicht in die Umgebung einpassen. Wir dürfen nicht die kurzfristigen kommerziellen Interessen von externen Investoren, über die langfristigen Grundbedürfnisse unserer Bewohner stellen.

Was schlagen Sie konkret vor?

Um die Gemeinden vernünftig zusammenzuführen braucht es eine Gemeindereformstruktur.

Wir brauchen einen gemeinsamen Flächennutzungsplan für die Insel, im Sinne einer nachhaltig gesunden Entwicklung. Touristisch sind wir doch jetzt schon “endversorgt”. Jedes weitere Bett was ab jetzt noch dazukommt schadet. Das klingt erstmal hart, ich meine es aber genau so. Die Gästezahlen wachsen nicht mehr automatisch mit. Wenn wir hier nicht nachsteuern, wird die wachsende Konkurrenz zu sinkenden Umsätzen und einer schlechteren Servicequalität führen. Diese nach unten gerichtete Spirale müssen wir durchbrechen, sonst überleben das nur die Großen.

Einen Preiskampf mit anderen Destinationen werden wir nicht gewinnen können. Usedom muss sich über Qualität positionieren. Das funktioniert nicht ohne eine Begrenzung der Bettenkapazität, die heute schon mehr als ausreichend ist.

Viel spannender ist es doch darüber nachzudenken, wie wir die Insel ganzjährig für Gäste interessanter machen können. Das geht nur über ein breites qualitativ hochwertiges Gesamtangebot.

Was muss dazu Ihrer Meinung nach passieren?

Die Kurverwaltungen sollte man meiner Meinung nach zusammenführen und auf der Insel gemeinsame Aktionen besser koordinieren.

Hier in der Gemeinde betreiben wir mit Ahlbeck und Bansin seit 1994, als damals noch drei politisch eigenständige Gemeinden, den Tourismus gemeinsam.

Die gemeindeübergreifende Zusammenarbeit und Verschmelzung müssen wir auf der gesamten Insel deutlich ausweiten.

Ich glaube ganz fest daran, wenn wir unsere Kräfte bündeln bekommen wir ein sehr attraktives Angebot auf die Beine. Und ich glaube, dass wir damit Urlauber anlocken, die uns die bereits vorhandenen Kapazitäten besser auslasten.

Was fehlt konzeptionell auf der Insel? Haben Sie eine Vision für die touristische Weiterentwicklung Ihrer Ostseeheimat?

Wir brauchen zukünftig einen deutlich nachhaltigeren Tourismus auf Usedom. Einen Tourismus der die Ressourcen auf der Insel bewahrt und nicht weiter auffrisst.

Wir haben seit gut 30 Jahren einen stetig zunehmenden Flächenverbrauch und ich glaube hier ist das Limit der Insel bereits erreicht. Die Gäste kommen zu uns, weil wir eine einzigartige Naturlandschaft haben, das muss erkennbar bleiben.

Was muss sich mittelfristig ändern, um uns auf das Mobilitätsverhalten zukünftiger Generation anzupassen?

Das Mobilitätsverhalten der nachwachsenden Generationen wird sich komplett verändern. Junge Menschen legen beim Thema Mobilität Wert auf eine Kombination aus Nachhaltigkeit und Effizienz, sie kaufen sich auch immer weniger ein eigenes Auto.

Auf die Veränderungen in der der PKW‐Nutzung und in der Nutzung eines motorisierten Individualverkehrs müssen wir bessere Antworten finden. Die individuelle Mobilität wird zukünftig zwangsläufig auch deutlich teurer werden.

Den ÖPNV attraktiver zu gestalten, halte ich daher für absolut wichtig und notwendig, um den Autoverkehr auf der Insel zu reduzieren.

Wir brauchen Konzepte, die Anreise und Aufenthalt ohne eigenes Auto attraktiv macht. Mittelfristig geht das nicht ohne eine Südanbindung der Bahn auf die Insel. Dafür zu kämpfen lohnt sich für jeden. Es ist ein Zukunftsmodell was wir dringend benötigen, wenn wir nicht den Anschluss verlieren wollen.

Sind Sie optimistisch das wir das alles hinbekommen werden?

Ich beschäftige mich derzeit relativ viel mit der Geschichte von Usedom. Es gab schon immer große Herausforderungen durch gesellschaftliche Veränderungen.

Das was jetzt auf uns zukommt halte ich für die mit Abstand größte Herausforderung. Es wird überlebensnotwendig sein auf diese Entwicklungen intelligent zu reagieren.

Eine bessere Bahnanbindung und ein attraktiver ÖPNV ist zukünftig absolut essentiell. Ich glaube wir werden es schaffen, wenn wir unsere Kräfte bündeln.

Ich bin guter Dinge!

Sehr geehrter Herr Merkle, wir danken Ihnen sehr für die Zeit und das Interview.

Lesen Sie hier ein weiteres Interview aus unserer Reihe “Inside Usedom”:

Interview mit Lars Pape - Love Story Usedom…

Wir freuen uns sehr, dass Sie neugierig auf Usedom sind.

Herzliche Grüße

Kristin & Daniel Wolter
Insel Insider @ Panoramahaus Usedom

Der Insel Insider Usedom bietet Ihnen wertvolle Einblicke & Ausflugstipps für Usedom und einen unvergesslichen Urlaub. Wir teilen gerne unsere persönlichen Entdeckungen mit Ihnen , um die malerischen Ecken und die atemberaubende Natur der Ostseeinsel zu erkunden. Lassen Sie sich von uns zu den verborgenen Schätzen Usedoms führen.

Hier finden Sie alle Artikel des Insel Insider, für eine Übersicht über die Ostseeinsel Usedom.

Kristin & Daniel Wolter
Insel Insider @ Panoramahaus Usedom

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Bootstouren auf dem Achterwasser - Paradies für Naturliebhaber…

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